"Tage, an denen die Erde sich nicht weiterdreht"
Es gibt Tage die sind wie alle anderen und es gibt Tage, da sagt man, dass für einen kleinen Augenblick, ein paar Sekunden nur, die Erde sich aufhört zu drehen - und wenn sie sich dann wieder weiter dreht, dann ist nichts mehr so wie es einmal war! Genauso war es und ist es auch heute noch für mich seit der Geburt meines Sohnes Yannis. Yannis war genauso wie unser erster Sohn Nico, ein Wunschkind. Die Schwangerschaft verlief problemlos. Bis auf reichlich Fruchtwasser gab es keine Hinweise auf Komplikationen. Heute weiß ich, dass dieses viele Fruchtwasser ein Hinweis auf Yannis Krankheitsbild gewesen ist.
An der Situation, oder unserer Entscheidung immer für Yannis da zu sein, hätte dieses Wissen jedoch nichts geändert. Nachdem es gegen Ende der Schwangerschaft leichte Wachstumsdifferenzen gab, wurde ich zur Einleitung ins Krankenhaus aufgenommen. Yannis war schon über dem Termin und somit konnte ich mich mit dem Gedanken gut anfreunden. Da unser erster Sohn per Kaiserschnitt auf die Welt kam, habe ich mir eine natürliche Geburt sehr gewünscht. Und auch dies klappte, zwar mit Saugglocke, aber ich durfte in den Genuss kommen, unseren Sohn selbst auf die Welt zu bringen. Yannis hatte Probleme mit Fruchtwasser und seiner Spucke.
Mehrmaliges Absaugen hatte nur kurzzeitig Erfolg. Nachdem dann auch noch schlechte Blutwerte ermittelt wurden, beschloss der Kinderarzt ihn auf die Intensivstation zu verlegen. Bis dahin war das für mich alles Routine. Voller Glücksgefühle kam ich auf mein Zimmer. Einige Stunden später bekam ich dann die Diagnose, die alles ändern sollte...Den Moment, als die Ärzte mir die Nachricht mitteilten werde ich nie vergessen. Er ist eingebrannt in meinem Kopf.
Yannis hatte eine Fehlbildung der Speiseröhre, genannt Ösophagusatresie Typ IIIb. So wie die meisten hatte ich noch nie davon gehört. Die Speiseröhre war nicht durchgängig und dann ging noch eine Fistel zur Luftröhre ab. Für Yannis lebensgefährlich. Ich war erst ganz gefasst und als ich dann meinen Mann anrief brach es aus mir heraus und aufhören zu weinen, werde ich wohl nie. Dann ging alles ganz schnell. Yannis wurde noch am gleichen Abend in ein anderes Krankenhaus verlegt, das EKO, und ich habe mich am Tag darauf entlassen lassen.
Er wurde nämlich keine 24 Stunden nach seiner Geburt operiert. Vor der OP der nächste Schock und damals ahnte ich noch nicht, dass noch viele Tiefpunkte folgen werden. Yannis hat noch einen komplexen Herzfehler. Den DORV (Double Outlet Right Ventricle). Bei der Ösophagusatresie ist es normal, dass noch andere Organe (Herz und/oder Niere bzw. Darm) betroffen sind. Das nennt sich VACTERL Assoziation. Bei Yannis ist es eben das Herz. Die erste OP verlief 7 Stunden, war aber erfolgreich.
Nach 12 Tagen durfte Yannis von der Intensivstation auf die normale Station. Dort waren wir leider nicht lange. Yannis hatte Probleme mit dem Sauerstoff und wurde öfter blau. Also wurde die OP des Herzens vorgezogen und wir sind ins Herzzentrum Duisburg verlegt worden. Yannis bekam im Herzzentrum erst den Herzkatheder und dann folgte nach einiger Zeit die OP. Da Yannis einige Infektionen mitgenommen hatte, kam es immer wieder zu Verzögerungen. Beide Eingriffe hatte Yannis aber wieder gemeistert. Kurzzeitig hatten wir die Hoffnung, es wurde aufwärts gehen.
Doch Yannis hatte zu große Probleme von der Beatmung weg zu kommen. Da lag er nun, mein kleiner Wurm. Erst ein paar Wochen alt und voller Schläuche, Kabel, Infusionen. Bei der Spiegelung der Luftröhre (Bronchoskopie) wurde dann festgestellt, dass Yannis Luftröhre zu weich ist und er sie nicht eigenständig offenhalten kann (Tracheomalazie). So war an eine Spontanatmung nicht zu denken. Also wurde eine dritte OP gemacht, die Aortopexie. Auch diese ohne Komplikationen. Das war der Zeitpunkt, an dem ich allen Mut verloren hatte. Die Aortopexie ist eine Möglichkeit, das Gewebe der Luftröhre und somit auch die Luftröhre zu straffen, damit sie nicht mehr zusammenfällt. Während des ganzen Krankenhausaufenthalts habe ich mich immer wieder mit dem Krankheitsbild beschäftigt und alles versucht, uns Hilfe zu holen. So bin ich dann auch zum Bunten Kreis Duisburg gekommen, der Flyer im Herzzentrum ausgelegt hatte. Am Tag der dritten OP habe ich uns dann dort vorgestellt und wir sind mit ganz viel Verständnis und Hilfsbereitschaft empfangen worden.
Die Aortopexie hatte leider nicht die gewünschten Erfolge erzielt. Yannis bekam also eine erneute Bronchoskopie in der Kinderklinik in Köln. Nun sollte die Frage geklärt werden, schafft er die selbständige Atmung oder bekommt er einen Luftröhrenschnitt, ein so genanntes Tracheostoma. Diese Alternative lastete schon lange auf unseren Schultern und als Laien stellt man sich das ungeheuer schlimm vor. Die Ärzte in Köln machten uns noch mal Mut und sagten, dass wir es erneut probieren sollten die Beatmung abzutrainieren. Alles wurde versucht, Yannis kam sogar in eine moderne Form der "eisernen Lunge". Tage und Wochen vergingen. Es war eine Berg -und Talfahrt von Emotionen, Extubationen und Intubationen. Yannis ging es seelisch immer schlechter. Lachen konnte er schon lange nicht mehr. Also wollten wir seinen Qualen ein Ende bereiten. Wir haben alles probiert und mussten nun realistisch sein.
Also bekam er am 11.05.2009 sein Tracheostoma. Mittlerweile war Yannis fast drei Monate alt und so lange auch schon im Krankenhaus. Seinen Bruder kannte er so gut wie gar nicht und wir alle waren mit den Nerven am Ende. Vor dem Tracheostoma hatte ich nun auch nicht mehr so viel Angst. Ich hatte schon Kontakt zu anderen Eltern aufgenommen, die alle berichteten, dass es eine Erleichterung für die Kinder sei. Außerdem könnte Yannis damit nach Hause. Das war unser größter Wunsch. ENDLICH NACH HAUSE.
Und was die anderen Eltern berichteten können wir nur bestätigen. Das Tracheostoma ist eine Erleichterung. Yannis war nach dem Eingriff wie ausgewechselt. Er konnte wieder lachen, sich bewegen. Es war wunderbar. Yannis wurde wieder ins EKO verlegt, um die Beatmung abzutrainieren und von da an ging es stetig bergauf. Parallel wurde vom Bunten Kreis alles für die Entlassung in die Wege geleitet. So dass wir zu Hause mit einer Physiotherapeutin, einem ambulanten Pflegedienst, Hilfsmittellieferanten etc. versorgt sind. Yannis wurde nach über fünf Monaten aus dem Krankenhaus entlassen und ist seit 13 Wochen zu Hause.
Er hat sich prima entwickelt, hat Spaß mit seinem Bruder, seiner Umwelt und lacht den ganzen Tag. Yannis ist ein ganz zufriedenes und neugieriges Kerlchen. Momentan müssen wir regelmäßig zur Herzkontrolle. Alles andere hat sich regelrecht entwickelt und muss nicht kontrolliert werden. Wir haben zwar noch einige Baustellen, wie z.B. das Abtrainieren der Nasensonde und seine motorische Entwicklung, aber auch das werden wir meistern.
Trotz der vielen Tiefpunkte, wusste ich immer, dass wir, und insbesondere Yannis, alles schaffen werden. Und irgendwann haben wir vielleicht das Glück, dass Yannis Tracheostoma wieder verschlossen wird. Auch wenn ich das oft dachte, insgeheim soll man die Hoffnung ja nicht aufgeben. Yannis ist für uns ein ganz normales Kind, er hat nur ein Loch zusätzlich im Körper. Aber er wird wie ein ganz normaler Junge aufwachsen. Als Familie blicken wir einer aufregenden Zeit entgegen und freuen uns über die Entwicklung unser beider Söhne!
Liebe Grüße aus Duisburg, die P.