"Das Leben ist eine Überraschung..."
…sagt Frau C. und lacht vergnügt. Fast ein Jahr haben wir uns nicht gesehen, denn solange ist die Nachsorge bei Familie C. bereits abgeschlossen. Doch nun treffen wir uns auf dem Geschwisterkindertag von Bunter Kreis Duisburg e.V. - Niederrhein und westliches Ruhrgebiet am malerischen Wolfsee. Und ich kann meinen Augen kaum trauen: der kleine Esad kommt gelaufen!!!!
Ja, nicht nur das Leben ist eine Überraschung – Kinder sind es auch! Und während ich Esad zuschaue, wie er mit einem Zweig eifrig den Kiesweg fegt, bekomme ich vor lauter Rührung Gänsehaut. Wie anders war doch die Situation, als wir uns vor ca. 2 Jahren kennen lernten… Esad, das zweite Kind der Familie C., war zu diesem Zeitpunkt 8 Monate alt und wog 5,5 kg. Ein kleiner, zarter Knirps, der mit seinem offenen, freundlichen Wesen und - nicht zuletzt mit seiner kleinen runden Professoren-Brille :) - sofort jedes Herz eroberte.
Frau C. berichtete mir in unserem ersten Gespräch, dass bei Esad - nach einer komplikationslosen Schwangerschaft und Geburt – gleich in den ersten Stunden Probleme auftraten und er daraufhin umgehend in eine Kinderklinik verlegt werden musste. Dort wurde ein Herzfehler diagnostiziert. Nur wenige Tage nach Entlassung traten zuhause erneut akute Atemprobleme auf und Esad musste wieder in ein Krankenhaus. Diesmal lautete die Diagnose Lungenentzündung. Nach vielen umfangreichen Untersuchungen wurde dann aber festgestellt, dass Esads gesamtes Atmungssystem völlig anders aufgebaut ist als gewöhnlich, eine „anatomische Neuschöpfung“ wie ein behandelnder Arzt sich ausdrückte.
Den Eltern wurde klar: wir haben ein besonderes Kind! Mit ganz viel Liebe und Engagement stellten sie sich ihrer neuen Lebenssituation, bewältigten die neuen Herausforderungen und erlebten auf neue Art und Weise, wie viel Kraft man aufbringen kann, wenn man eine solche Lebenssituation gemeinsam als Familie durchlebt und zusammenhält.
Esad bekam zweimal wöchentlich Krankengymnastik und einmal die Woche Frühförderung. Dazu kamen regelmäßige Termine bei der Kinderärztin und in der Kinderklinik, wo er regelmäßig pneumologisch und kardiologisch untersucht wurde. Immer wieder mussten Bronchoskopien in Vollnarkose durchgeführt werden – was aufgrund des Herzfehlers heikel war und den Eltern immer wieder Angst machte.
Groß war auch die Angst vor Infekten, die häufig einen stationären Aufenthalt nötig machten und die Familie veranlassten, so selten wie möglich mit Esad vor die Tür zu gehen. Besondere Kinder brauchen aber auch andersweitig besonders viel Zeit und Zuwendung. In Esads Fall stellte sich die Ernährung als besonders belastend für die Muttter heraus. Er konnte aufgrund seines Herzfehlers immer nur kleinste Mengen essen, gleichzeitig verbrauchte sein Körper besonders viel Energie, sprich Kalorien. Im Klartext bedeutete es für die Eltern, Esad alle 1,5 bis 2 Stunden zu füttern, Tag und Nacht! Das alles erforderte sehr viel Geduld, Fingerspitzengefühl und Kraft.
Obwohl die Eltern alles ganz hervorragend machten (oder gerade deshalb...) machten sich die Ärzte und Therapeuten Sorgen, wie lange die Familie dieser besonderen Belastung noch stand halten würde. Und so begann diesozialmedizinische Familiennachsorge durch Bunter Kreis Duisburg e.V. –Niederrhein und westliches Ruhrgebiet. Stützende und ermutigende Gespräche standen hierbei im Vordergrund. Familie C. erkannte, was sie schon alles leistete und erfuhr, welche Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten ihnen noch zur Verfügung standen. So wurde ein Antrag auf Feststellung des Grades der Behinderung gestellt und in Schwerbehindertenausweis bewilligt. Nötige Hilfsmittel wie ein therapeutischer Hochstuhl zum Sitzen am Familientisch und ein Rehabuggy wurden beantragt.
Sehr wichtig war auch, die in der Familie bereits tätigen Helfer zu kontaktieren und die Kommunikation untereinander herzustellen. So konnten die nötigen Maßnahmen koordiniert werden und die Kommunikation über die Ziele von Esads Therapie zwischen allen sichergestellt werden. Die Situation des älteren Bruders wurde mit den Eltern ebenfalls angesprochen. Der Vater beschloss darauf hin, häufiger gezielte Vater-Sohn-Aktionen mit seinem älteren Sohn zu unternehmen. Um die besonders belastende Ernährungssituation (für Mutter UND Kind) zu verbessern, verordneten die behandelnden Ärzte eine hochkalorische Zusatznahrung. Die Bewilligung durch die Krankenkasse erwies sich als schwierig und langwierig, wurde aber durch die Case Managerin hartnäckig verfolgt.
Letzten Endes brachte diese Nahrung DEN Durchbruch in der Entwicklung des Kindes. Durch die höhere Zufuhr von Kalorien konnte Esads motorische Entwicklung deutliche Fortschritte machen und auch seine Infektanfälligkeit nahm spürbar ab. Besonders schön war, dass sich die Familie am Ende der Nachsorge einen Traum erfüllen konnte, der zu Beginn der Betreuung noch völlig utopisch erschien: sie flog – mit Esad – für 6 Wochen in die Türkei, wo ihn seine Großeltern zum ersten Mal in die Arme schließen konnten!